Charlotte Gneuß, Gittersee. Darf Gneuß das, fragt die Literaturkritik: als westdeutsch Sozialisierte über eine ostdeutsche jugendliche Lebenswelt schreiben. Ich frage mich eher, warum sie das überhaupt will: schon im Debüt handwerklich astreine, aber schrecklich gediegene und überraschungsfreie Relevanz- und Buchpreisliteratur abliefern. Meine Frage mag nicht viel schlauer und vielleicht impertinent sein, was weiß ich schon über die Beweggründe hinter der Stoffwahl. Aber das Buch liest sich nunmal wie das literarische Äquivalent zu bravem Förderkino, zeithistorische Brisanz kanalisiert als sanft menschelndes Milieustück (DDR als Milieu, bisschen doof finde ich das in der Tat auch), das gegen Ende in eine Thrillermechanik kippt, die offenlegt, wie schematisch die Figurenkonstellation von Anfang an angelegt ist. Dass Gneuß oft tolle Sprachbilder gelingen, macht die Sache für mich, ungnädig wie ich wieder mal bin, eher noch schlimmer - die gar nicht wenigen schönen Sätze verweisen auf ein viel besseres Buch, das nicht sein darf.
Rita Falk, Hannes. Rita Falk scheint sehr zu mögen: Männer, die leiden; und Männer, die (sich gegenseitig) heilen. Frauen leiden und heilen eher am Rande mit. Männliche Mainstreamgefühle, artikuliert in der Ansprache des Hauptleidenden an den komatösen besten Freund, in der einerseits ein brüchiges Selbstverhältnis aufgehoben ist und anderseits wie nebenbei (aber natürlich geht's darum hauptsächlich) eine provinzielle Mainstreamlebenswelt zwischen Eishockey, Irish Pub, Baggersee, Rumgebaggere und aber auch Zivildienst im Pflegeheim aufgefaltet wird. Sprachlich grundsolide im ewig selben Plauderton gehalten, effektivste Geheimwaffe die immer wieder eingeflochtenen "na ja"s und "egal"s - echt sind nur die Gefüle, die Mann sich nicht eingestehen will. Gegen Ende komme ich fast auf den Geschmack, es ist dann aber doch ein bisschen zu viel fader Unsinn mit drin, Nichtpointen, die seitenlang zu Tode geritten werden, homophobes Gewitzel wie in deutschen Nullerjahrekomödien und so weiter.
Andrea Paluch, Robert Habeck, Hauke Haiens Tod. Schullektüre spukt erstaunlich/erschreckend oft durch das Sample, jetzt sogar der Schimmelreiter, der nun wirklich ewiges gelbes Reclamheft hätte bleiben sollen anstatt aufgedonnert zu werden zum Öko-Inzest-Sekten-Gegenwartskrimitohowabohu. Einige Mühe geben sich Paluch und Habeck, zugegeben, mit dem Settting (nach einem lieblosen Auftakt im Rotlicht-Hamburg): touristisch aufpoliertes Dorf in Schleswig-Holstein, von alten Eifersüchteleien, Sexgeschichten und überlieferten feudalen Sozialstrukturen angefressen - aber eben außerdem, warum auch immer, von einer evangelikalen Sekte unterwandert! Nicht viel ergibt hier Sinn und vor allem ist es wahnsinnig ungelenk erzählt. Völlig zu Recht gibt es das alles inzwischen auch als ARD-Fernsehfilm.